Ein Tag im April
Es war ein schöner Tag, Ende April. Die Sonne schien, es war mild, ein laues Lüftchen wehte und vertrieb die letzten Wolken am Himmel. Der Nachmittag versprach strahlend blau zu werden.
Der Morgen war zu schön um zu arbeiten, hatte ich mir gedacht, hatte den Berg schmutzige Wäsche ruhen lassen und war gegangen. Mein schlechtes Gewissen, dass ich meine Arbeit an diesem herrlichen Morgen vernachlässigte, ließ ich auf dem Stapel Wäsche zurück.
Wolken im Ötztal
Ein Ort zum Verweilen
Ich hatte meine Lieblingswege, meine Lieblingsbäume und eine herrliche Lieblingswiese. Und zu dieser Wiese war ich an diesem Morgen unterwegs. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen die meine Haut berührten und den Geruch von Frühling, der überall in der Luft hing. Als ich zur Wiese kam, sah ich, das unzählige Blumen ihre Blüten in den Himmel gereckt hatten, um die Sonne zu genießen. „Ja“ dachte ich, „sie haben recht“. Sie stehen einfach so da, genießen die Sonne und lassen sich von dem warmen Wind sanft schaukeln.
Ich schlüpfte aus meiner Jacke, breitete sie auf der Wiese aus, und gesellte mich zu diesen farbenfrohen Blumen, um es ihnen für einen Augenblick gleich zu tun.
Ist Zeit relativ?
Ich schaute zum Himmel und sah die Wolken ziehen. Ich musste an die Zeit denken. Sie verging scheinbar so schnell. Wie schnell die Wolken vorüberzogen… Und jetzt – mein schlechtes Gewissen meldete sich. „Du sitzt hier und vertrödelst deine Zeit!“ hatte ich es doch nicht bei der Wäsche gelassen?
„Die Zeit“ sinnierte ich weiter. Sie war irgendwie „relativ“. Manchmal verging sie relativ schnell, so wie gerade jetzt auf dieser wundervollen Blumenwiese. Und dann wieder… Mir kam mein letzter Zahnarztbesuch vergangene Woche in den Sinn. Die Zeit der Behandlung dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Eigentlich schade, dass man die Zeit nicht beeinflussen konnte. Ich hatte erst vor kurzem ein Buch über Einstein gelesen. Darin wurde über schwarze Löcher berichtet, die die Zeit und den Raum verschluckten. Ich konnte mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Die Zeit blieb einfach stehen? Wie das wohl war?
Einmal die Zeit anhalten
„Du willst also wissen, wie es ist, wenn die Zeit stehenbleibt?“ hörte ich eine vertraute Stimme neben mir. Es war mein Engel, der wie immer auf einmal aus dem „Nichts“ auftauchte. Oder hatte ich ihn nur nicht gehört, weil ich so in meine Gedanken versunken war.
„Du willst wissen wie es ist, wenn die Zeit stehen bleibt?“fragte er nun wieder, als hätte ich ihn zuvor nicht richtig gehört. Ich überlegte. Wollte ich das wirklich?
„Ich weiß nicht“ antwortete ich wahrheitsgemäß. Mir war etwas unbehaglich bei diesem Gedanken zumute. Denn wenn für mich die Zeit stehen bliebe, für alle anderen die Zeit jedoch weiterlaufen würde, wäre ich vielleicht kein Teil von diesem Ganzen mehr. Oder auch nicht. Ich wusste es nicht.
Tanz mit einem Engel
Mein Engel kicherte. „Du bist so ahnungslos und so angepasst. Hast du nicht manchmal Lust aus der Reihe zu tanzen? Komm, lass uns tanzen“. Er trat vor mich und streckte mir seine kleinen zarten Hände entgegen. Ich stand auf und schaute mich um. Es war mir etwas peinlich mit einem Engel mitten auf der Wiese zu stehen und dann ohne Musik zu tanzen. Doch weit und breit war niemand zu sehen und die Blumen würden schweigen. Es war einen Versuch wert. Ich nahm seine Hände und wir begannen uns langsam im Kreis zu drehen. Mein Engel sah mich mit strahlenden Augen an. „Ist es nicht wundervoll aus der Reihe zu tanzen. Lass los“, rief er mir auffordernd zu. Ich dachte im ersten Moment an meine Hände, doch die hielt mein Engel fest umschlossen. Erstaunlich welche Kraft dieses kleine Kerlchen hatte. „Ich meine deine Gedanken, lass sie fliegen“ dabei drehte er mich schneller und schneller. Und ich ließ los. Mein Denken, meine Gedanken, die Zeit. Ich flog und fühlt mich unendlich frei. Frei von Zeit und Raum. Ich flog durch die Ewigkeiten. Eine Ewigkeit lang.
War es nur ein schöner Traum?
Irgendwann, ich glaube als ich gesättigt war, nahm ich die Wolken wieder wahr. Nach wie vor zogen sie am blauen Himmel entlang. Die Blumen standen an ihrem Platz und sonnten sich. Ich hatte wohl nichts verpasst. Ich saß auf der Wiese. Allein. Natürlich mit den Blumen. Nur mein Engel war nicht mehr da. War er überhaupt da gewesen, oder hatte ich die ganze Geschichte geträumt? Egal, wie auch immer, es war schön.
Die Wäsche ruft allmählich
Auf einmal fiel mir die Zeit wieder ein. Wie lange hatte ich wohl hier gesessen. Mein Gewissen und die Wäsche meldeten sich. Ich stand auf, nahm meine Jacke und sah auf die Uhr. Es war keine Minute vergangen, seitdem ich mich auf die Wiese gesetzt hatte. War meine Uhr etwa stehengeblieben? Ich schaute auf den Sekundenzeiger. Doch der bewegte sich rhythmisch „tick tack“ als wäre nichts geschehen.